Herkkujuustola

Ein Stück Käseglück: Wie der Schweizer Peter Dörig die Käsekultur Finnlands neu definiert

Er hat den Appenzeller im Blut, das Abenteuer im Herzen und den Schweizer Akzent nie verloren. Wenn Peter Dörig spricht, schwingt ein leises Echo der Schweizer Alpen mit – auch nach drei Jahrzehnten in Finnland. Der Käser mit dem charmanten Appenzeller-Akzent ist einer, der Brücken baut: zwischen Tradition und Neuanfang, zwischen Herkunft und Wahlheimat, zwischen Ovomaltine-Erinnerung und internationalem Erfolg. Das Leben hat den Abenteurer in die westfinnische Kleinstadt Sastamala gebracht, in der er seit fast auf den Tag genau 23 Jahren seine Käserei Herkkujuustola betreibt: Sie gilt heute als ein Synonym für Schweizer Qualitätsarbeit, finnische Neugier und den Mut, etwas Neues zu wagen. Dass ausgerechnet ein Schweizer den Finnen beibringt, was echten Käse ausmacht, ist eine jener Geschichten, die man nicht erfinden könnte.

Peters Weg ist kein gerader – er führt über Bergstraßen und Blockhütte, über LKW-Fahrten nach Zentralasien und Märkte in Finnland. Es ist die Geschichte eines Mannes, der erst um die halbe Welt reiste und dann zurück zu seinen familiären Wurzeln kehrte – als er selbst eine eigene Familie gründete. Peter hat sein Lebensglück gefunden und verteilt dieses mittlerweile um die ganze Welt: „Ich packe mit jedem Käse, den ich verschicke, ein Stück Glück mit ein.“

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Der Schweizer Peter Dörig lebt seit über 30 Jahren in Finnland und verbindet in seiner Käserei Herkkujuustola traditionelle Handwerkskunst seiner Heimat mit lokaler finnischer Milch zu neuen und mutigen Käsesorten.
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Peters erste Käseerinnerungen seiner Kindheit: geschmolzener Tilsiter in heißer Ovomaltine. Dass er einmal in die Fußstapfen seines Vaters treten und selbst Käser werden würde, konnte er sich in jungen Jahren nicht vorstellen.

Peter, du lebst nun seit vielen Jahrzehnten in Finnland – doch dein Schweizer Akzent ist geblieben.
Peter: (lacht) Ja, das stimmt wohl. Ich glaube, der Akzent bleibt, weil ich ihn nie wirklich loslassen wollte. Über WhatsApp halte ich bis heute engen Kontakt nach Hause – zu meinen Freunden, meiner Familie und natürlich zu meinem Vater. Anfang November fliege ich wieder in die Schweiz: Mein Vater wird 90! Er hat zeit seines Lebens fast ausschließlich Butter und Käse gegessen. Für mich der beste Beweis, dass gutes Käsehandwerk gesund hält.

In welchem Käse-Umfeld bist du aufgewachsen?
Peter: Ich bin gebürtiger Appenzeller, aufgewachsen im Kanton Thurgau. Mein Vater hat fast sein ganzes Leben lang Appenzeller hergestellt – Käse war bei uns nicht nur Lebensmittel, sondern Teil unserer Identität. Als Kind war mein Lieblingskäse der Tilsiter. Vor der Schule bereitete mir meine Mutter eine heiße Ovomaltine zu, schnitt die Rinde vom Tilsiter ab und bröselte kleine Stücke in die dampfende Tasse. Dann begann der Käse zu schmelzen, zog Fäden, wurde gummiartig – ein kulinarischer Tiefflieger, würde man heute sagen. Aber für mich war das damals pures Glück, ein Stück Kindheit in einer Tasse.

Wusstest du schon damals, dass du einmal Käser werden und in die Fußstapfen deines Vaters treten würdest?
Peter: Nein. Eigentlich wollte ich als kleiner Junge Fernfahrer werden. Mich hat die große weite Welt gereizt, das Unterwegssein, das Unbekannte. In meinem Herzen war ich immer ein Abenteurer. Aber mein Vater war überzeugt, dass ich erst einen richtigen Beruf lernen sollte. Und da blieb im Grunde nur einer – Käser. Die Abenteuerlust aber ließ sich nicht so leicht einfangen. Nach der Lehre bin ich losgezogen und fuhr quer durch Europa, von der Schweiz über Schweden bis nach Norwegen. Auf dem Beifahrersitz hatte ich immer ein Stück Käse dabei – mein kleiner, feiner Begleiter aus der zur Heimat.

Wie kamst du schließlich nach Finnland?
Peter: 1994 las ich in einer Schweizer Fernfahrerzeitung, dass finnische Lastwagenfahrer bis an den Himalaja fahren. Das hat mich sofort gepackt – diese Mischung aus Abenteuer und Weite. Ich wollte ohnehin immer einmal nach Russland, und so führte mich der Weg 1995 in die finnische Stadt Nokia. Ich sprach kein Wort Finnisch, aber das hat mich nie aufgehalten. Mit dem Besitzer des Transportunternehmens fuhr ich bis nach Usbekistan. Ein Jahr später rief man mich erneut an: Ob ich die Zentralasien-Tour übernehmen wolle? Also zog ich endgültig nach Finnland. Als Anfang 2000 die Touren endeten, kaufte ich mir eine Blockhütte tief im Wald. Denn ich wusste: Das ist ein Ort, an den ich immer zurückkehren – oder vielleicht sogar ganz bleiben möchte.

Und du bist geblieben. 
Peter: Im Sommer 2000 war ich auf dem Markt in Häijää – dort habe ich Jenni kennengelernt. Sie ist Finnin. Seit 25 Jahren gehen wir nun gemeinsam durchs Leben. Ohne sie gäbe es Herkkujuustola, unsere Käserei, nicht. Sie war von Anfang an an meiner Seite – hat übersetzt, organisiert, Strukturen geschaffen. Ich sage oft: Kein erfolgreicher Mann ohne eine starke Frau im Hintergrund – und das stimmt. Jenni hat mir die Tür zu Finnland geöffnet. Durch sie ist aus einem Abenteuer eine Heimat geworden.

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„Mich hat die große weite Welt gereizt, das Unterwegssein, das Unbekannte. In meinem Herzen war ich immer ein Abenteurer.“ Ein ständiger Begleiter seiner Fernreisen: ein Laib hochwertiger Käse auf dem Beifahrersitz.
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„Jenni ist Finnin. Seit 25 Jahren gehen wir nun gemeinsam durchs Leben. Ohne sie gäbe es Herkkujuustola, unsere Käserei, nicht. Sie war von Anfang an an meiner Seite.“

Und wie hat dich dann der Käse wieder eingeholt – oder besser gesagt: Wie hat deine Käse-Reise in Finnland begonnen? 
Peter: Ganz banal: durch den Hunger. Während meiner Fernfahrer-Jahre deckten wir uns für die Touren im Supermarkt ein. Ich probierte mich durch die finnischen Käsetheken, aber alles war in Plastik verpackt: weiß, gleichförmig, geschmacksneutral, ohne Leben, ohne Charakter. Auch die Auswahl auf den Märkten vor Ort war übersichtlich. Das musste man doch besser hinbekommen! 2002 gründeten Jenni und ich unsere eigene Käserei – am 20. Oktober, das Datum vergesse ich nie. Zur Vorbereitung frischte ich mein eingerostetes Käse-Handwerk für zwei Wochen bei meinem Bruder in der Schweiz auf. Dort nahm ich fünf Liter Salzlake mit – die Basis für alle meine Käse. Diese Lake ist nach über 20 Jahren immer noch dieselbe. Sie ist sozusagen die DNA meiner Käserei. Finnische Käser verstehen diesen Ansatz der im wahrsten Sinne des Wortes weitergetragenen, lebendigen Kultur nicht. Aber sie schafft genau die Qualität, die unsere Käse so einzigartig macht.

Wie bist du bei der Gründung damals vorgegangen?
Peter: Ich hatte keinen Businessplan, keine fertige Strategie, nur den Drang, etwas Eigenes zu schaffen und das Vertrauen in mein Handwerk. Nach den zwei Wochen bei meinem Bruder hatte ich meine alten Handgriffe aufgefrischt und Rhythmus wie Gefühl für die Käseherstellung wiedergefunden. Zurück in Finnland, mit Salzlake aber auch zwei unterschiedlichen Sorten Käse im Gepäck, stellte ich mich auf den Marktplatz, ließ die Leute kosten und verteilte Zettel. Darauf standen nur zwei Fragen: „Was schmeckt Ihnen am besten?“ und „Was würden Sie dafür bezahlen?“. Die Reaktionen waren eindeutig: Rund 80 Prozent wollten kräftigen Käse – mit Charakter, mit Ecken und Kanten. Das war mein Startpunkt.

Wie erinnerst du rückblickend deine ersten Jahre als Schweizer Käser auf finnischem Boden?
Peter: Das Käsemachen selbst war nie das Problem – das hatte ich im Blut. Aber alles drumherum war Neuland: Marketing, Buchhaltung, EU-Normen, Vertrieb. In der Schweiz war ich schlicht für die gute Qualität verantwortlich, für das Produkt selbst. Hier in Finnland musste ich plötzlich alles gleichzeitig sein – Handwerker, Verkäufer, Unternehmer. Zum Glück war Jenni da. Sie sprach Finnisch, ich nur ein paar Bruchstücke. Ohne sie wäre ich verloren gewesen. Und trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – wurden wir von Anfang an mit offenen Armen empfangen. „Der Schweizer muss es wissen“, sagten die Leute. Das war mein Türöffner.

Und bereits wenige Jahre später ist dein Käse rund um die Welt geflogen.
Peter: Am Anfang ging es mir ehrlich gesagt nur um eines: selbstständig zu werden, ein Geschäft aufzubauen, mit dem ich meine Familie ernähren, ein Zuhause geben und selbst guten Käse zu genießen kann. Dann kam plötzlich ein Anruf von FinnAir. Sie wollten tatsächlich meinen Käse für die Business-Class. Plötzlich flog mein Käse um die Welt. Kurz darauf meldeten sich finnische Köche aus der Fine-Dining-Szene, die meinen Käse unbedingt auf ihrer Karte haben wollten. Es muss 2005 gewesen sein, als der regionale Fokus der Finnen in Sachen Käse immer stärker und mein Name in diesem Zusammenhang zum Begriff wurde. Über die Jahre sind wir so bekannt geworden. Eine große Strategie hatte ich nie. Ich wollte einfach guten Käse machen, authentisch bleiben. 2018 war dann ein entscheidender Moment: Wir bauten unsere neue Käserei mit Restaurant und Showbetrieb.

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„Das Käsemachen selbst war nie das Problem – das hatte ich im Blut. Aber alles drumherum war Neuland: Marketing, Buchhaltung, EU-Normen, Vertrieb. In der Schweiz war ich schlicht für die gute Qualität verantwortlich, für das Produkt selbst. Hier in Finnland musste ich plötzlich alles gleichzeitig sein – Handwerker, Verkäufer, Unternehmer.“
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Peter's Marmori, der aktuell als einziger finnischer Käse in der Auslage von Rolling Cheese in Helsinki vertreten ist, hat es mittlerweile bis nach New York geschafft. Erst vor wenigen Tagen hat er seine zweite große Käsesendung nach Long Island verschickt.

Mittlerweile hat es dein Käse bis in die Auslage von Murray’s Cheese in New York geschafft.
Peter: Vor einem Jahr erhielt ich die Einladung von einem New Yorker Importeur zu einer Hausmesse, anschließend folgte die Fancy Food Show 2025 in der Weltmetropole. Dort stand ich nun im Juni mit allem, was Rang und Namen in der Käse-Welt hatte. Es war verrückt! Aber es begann schon früher: Ich erinnere mich an eines der ersten Verkaufsgespräche Anfang des Jahres mit den amerikanischen Käse-Importeuren. Was konnte ich ihnen bieten? Was machte meinen Käse einzigartig? Schließlich kann ich keine Alpenmilch liefern, kein frisches Berggras. Unsere Kühe fressen Silage – da kann ich mit der Schweizer Natur nicht konkurrieren. Die Antwort kam fast von selbst: Finnland ist das glücklichste Land der Welt. Also sagte ich: „Mit jedem Käse, den ich in die Welt schicke, verpacke ich ein Stück Glück.“ Sie waren begeistert, standen auf und haben applaudiert – weil es nicht um Marketing oder Zahlen ging, sondern um eine Idee, die von Herzen kam. Vor wenigen Tagen habe bereits ich meine zweite große Käsesendung nach Long Island verschickt.

Aber es ist nicht nur sind nicht nur Geschmack und die Geschichte, die deinen Käse so einzigartig machen.
Peter: Denn auch das Auge isst mit! Unser Marmori ist dafür das beste Beispiel: eine sorgfältige Käse-Cuvée aus Appenzeller und Morbier. Die Idee entstand nach fast drei Jahre andauernden Experimenten. Für eine regionale TV-Sendung probierte ich zunächst einen besonderen Camembert: außen weiß, innen schwarz, mit Asche eingefärbt. Mein Bruder war hellauf begeistert, aber für den Versand musste es ein haltbarer Hartkäse sein. Eigentlich hatte ich den Marmori für den amerikanischen Markt vorgesehen. Doch dann passierte etwas Unerwartetes: Die Finnen liebten ihn! Und warum? Weil der Käse Emotionen weckt – Optik und Geschmack kommen zusammen. Genau das wollte ich erreichen: ein Produkt, das das Auge erfreut, den Gaumen überrascht und das Traditionelle in ein neues, modernes Gewand kleidet.

In der Schweiz wärst du damit vermutlich nicht so schnell erfolgreich geworden. Was würdest du sagen, sind die größten Unterschiede zwischen der Käsekultur hier in Finnland und in der Schweiz?
Peter: Für uns Schweizer ist Käse ein Grundnahrungsmittel, da sind wir sehr verwöhnt. Die Finnen sind da noch nicht so weit, aber sie sind auf dem Weg dorthin. Es gibt hier wunderbare lokale Traditionen, wie den Leipäjuusto, den Brotkäse: ein frischer, leicht gesalzener Käse, der warm mit Moltebeeren gegessen wird. Das ist einzigartig, und ich sage den Finnen oft: „Vergesst eure Wurzeln nicht!“ Man kann Neues schaffen, aber Traditionen müssen immer Teil der eigenen Identität bleiben.

Warum liegt den Schweizern traditionelles Käsehandwerk deutlich mehr im Blut?
Peter: Schweizer Käser sind deutlich konservativer. Unsere Nation besteht seit 1291, unsere Wurzeln sind tief im Boden verankert. Wir produzieren unglaublich gute Käse – aber wir hinterfragen sie kaum. Weiterentwickeln? Warum? Wir ruhen uns auf unserer jahrhundertealten Tradition und der Qualität unserer Käse aus. Die finnischen Wurzeln hingegen hatten nur etwa hundert Jahre Zeit, um zu wachsen. Deshalb sind sie neugieriger, offener, ständig auf der Suche nach neuen Ideen. Sie wollen dazugehören, europäisch sein – und dieser Drang nach Entwicklung macht sie innovativ und experimentierfreudig. Meine Käse vereinen beide Facetten.

Was wünschst du dir für die finnische Käsekultur, aber auch für deine Käserei in den kommenden Jahren? 
Peter: Die finnische Käsekultur wird wachsen und diverser werden – ganz sicher. Die Menschen begreifen langsam, dass Käse nicht gleich Käse ist. Es gibt einen Unterschied zwischen Handwerk und Industrieprodukt. Und das hat seinen Preis.  Ich hoffe, dass mehr kleine Produzenten kommen, dass Vielfalt entsteht. Und diesen Prozess möchte ich mit unserem gemeinsamen Käseleben begleiten. Ich habe vier wundervolle Töchter, sie sind mein Lebensakku, mein Antrieb und meine tägliche Motivation, Herkkujuustola-Käse in die Welt zu schicken. Und jedes Mal, wenn jemand in New York, Helsinki oder Zürich in meinen Käse beißt, weiß ich: Da steckt nicht nur Geschmack drin – hier kostet jemand ein bisschen Schweiz, ein bisschen Finnland und eine ganze Menge Glück.

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Punainen matto
„Ich habe vier wundervolle Töchter, sie sind mein Lebensakku, mein Antrieb und meine tägliche Motivation, Herkkujuustola-Käse in die Welt zu schicken.“